Nassa
Ich arbeitete vor einigen Jahren in einem Tierheim als Hundepfleger. Uns erreichten manchmal Hunde von ausländischen Organisationen.
So kam eines Tages auch Nassa aus Moskau zu uns.
Nassa war ein typischer Straßenmischling, einem schlanken Dingo gar nicht so unähnlich.
Sie war so sehr ängstlich, dass sie jeglichen Kontakt zu uns Menschen vermied und selbst ihren Futternapf rührte sie nicht an.
Einen Tag wartete ich ab. Der zweite Tag strich auch vorüber. Wenigstens trank sie etwas. Doch als sie am dritten Tag nichts essen wollte, habe ich mir eine Decke genommen und mich einfach mit in ihren Zwinger gesetzt. In der entferntesten Ecke saß ich nun und habe einfach nur – nichts gemacht.
In Nassas Zwinger stand eine Hundehütte, aus der sie mich ängstlich beobachtete.
Nach etwa einer Stunde nahm ich dann Kontakt zu ihr auf. Der große Vorteil der Tierkommunikation ist, dass ich keinen Laut von mir geben musste und auch bewegen brauchte ich mich nicht. Beides hätte sie sofort wieder verschreckt!
Ich fragte sie, warum sie nichts essen mochte. Daraufhin zeigte sie mir ihre Lebensumstände in Moskau.
Sie lebte dort zwischen alten Schuppen und verfallenen Häusern. Anfangs hatte sie keine Angst vor Menschen, denn sie fand in deren Nähe immer etwas zu fressen. Doch eines Tages wurde sie betäubt. Ich nehme an, dass sie in Alkohol getränktes Brot fraß. Ich konnte den Schleier und ihre Bewegungsunfähigkeit sehen. Ihr wurde eine dünne Stange mit einem Wimpel auf den Rücken gebunden. Als sie wieder laufen konnte, bewarfen diese Männer sie nun mit Steinen und Flaschen. Durch die Fahne konnte sie sich aber nunmehr nirgends mehr verstecken. Die Jagd ging bis in die Dunkelheit. Zum Glück trug sie keine schweren Verletzungen davon. Aber ihr Vertrauen zu den Menschen war gebrochen.
Ich beteuerte ihr, dass sie hier nie wieder so etwas erleben muss und wir alle uns Sorgen machten, dass sie nicht essen mochte.
Noch etwa zwei Stunden blieb ich stumm und bewegungslos sitzen.
Auch am nächsten Morgen hatte sie immer noch nichts gegessen. Ich setzte mich wieder in den Zwinger, rutschte aber einen Meter weiter an sie ran. An diesem Tag blieb ich vier Stunden sitzen.
Nassa kam auch tatsächlich aus ihrer Hütte, doch mit großer Vorsicht.
Kurz bevor ich sie dann verließ fragte ich sie, was denn eigentlich ihre Lieblingspeise wäre. Daraufhin zeigte sie mir eine weiße Masse.
Der Nachmittag kam und ich setzte mich wieder zu ihr und nicht ohne den Abstand weiter zu verringern.
Aber dieses Mal hatte ich etwas mitgebracht. Einen Becher mit Joghurt!
Diesen stellte ich in meiner ausgestreckten Hand in ihre Richtung.
Nach einer unendlich langen Zeit kam sie immer näher und näher. Wie zufällig hielt ich den Becher und schaute auch nicht zu ihr hin. Dann endlich spürte ich eine zarte Bewegung am Becher. Ein wohliges Glücksgefühl durchzog mich.
Sie schleckte den halben Becher leer und ging dann wieder zurück.
Angespornt von diesem Erfolg, mischten wir nun Joghurt und Quark unter ihr Futter und siehe da, am nächsten Morgen war ihr Napf leer!
Von da an begann jeder Besuch bei ihr mit einem Joghurtbecher.
Und schon drei Tage später konnten wir mit ihr den ersten Gassigang unternehmen. Sie taute immer mehr und schneller auf und entwickelte sich zu einem fröhlichen, quirligen Hund. Und so dauerte es auch nicht lange, dass sie glücklich zu einer jungen Familie vermittelt werden konnte.